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Vor verschlossenen Türen und hinter fremden Wänden

25. Mai 2020
Lara Jarolin
Wohnen & Leben

Wie sieht es eigentlich innerhalb der vier Wände von Menschen fremder Länder, unbekannter Kulturen oder bestimmter Generationen aus? Womit bestreiten sie ihren Alltag? Mit wie vielen Sachgütern kommen sie aus? Und was bedeutet ihnen besonders viel? Mit diesen Fragen haben sich drei Fotografen unterschiedlicher Herkunft – aus China, Schweden und Japan – im Rahmen ihrer ungewöhnlichen Fotoprojekte befasst. Entstanden sind dabei Bilder, die einen neuen Blickwinkel auf unser Verständnis von materiellen Besitztümern eröffnen. 

Aber was genau versteht man eigentlich unter Besitz? Wenn wir einmal davon ausgehen, dass die Dinge, die wir unser Eigen nennen, weder geklaut, noch geliehen oder gemietet sind, ist der oft verwendete Begriff „Besitz“ streng genommen nicht richtig. Rechtlich wird darunter nur die tatsächliche Herrschaft über eine Sache verstanden, wohingegen „Eigentum“ auch die rechtmäßige Berechtigung zum Besitz der Sache impliziert. 

Während unserer Prägezeit im Kleinkindalter ist uns diese Unterscheidung aber herzlich egal. Denn in diesem Abschnitt des Heranwachsens fangen Dinge an, für uns an Bedeutung zu gewinnen. Getreu dem Motto „Meins!“ machen wir uns Gegenstände aus unserer Umwelt zu eigen, um sie besser begreifen zu können. Denn dadurch werden sie erfahrbar und wir lernen die Welt um uns herum zu verstehen. Ebenfalls wichtig für unsere Entwicklung – wenn auch weniger aus biologischer als aus sozialer Sicht – sind Besitzgegenstände im Jugendalter, da sie hier besonders als Maßstab für gesellschaftliche Akzeptanz empfunden werden. Aber auch im Erwachsenenalter lässt sich eine Tendenz zur Identifikation durch materielle Güter als Statussymbole nicht abstreiten. Darüber hinaus kann der Besitz eines Menschen auch als Indikator für die Bedingungen seines Alltags dienen: Er gibt Aufschluss über die jeweilige Kultur und Gesellschaft, in der er lebt. Das zeigen die folgenden drei Fotoprojekte eindrücklich. 

Momentaufnahmen als Spiegel des Zwiespalts eines Landes 

Die Kluft zwischen den Lebensstandards der Stadt- und Landbevölkerung darstellen – das war die Intention des ersten Fotoprojektes „FamilyStuff“. Der chinesische Fotograf Huang Qingjun lichtete verschiedene Familien aus China, Tibet und der Mongolei mit ihrem ganzen Hab und Gut vor ihren Haustüren ab. Häufig gab es dabei Verständigungsprobleme, oft aufgrund sprachlicher Differenzen, aber manchmal auch wegen des fehlenden Verständnisses für sein Projekt. Seine Reise war deshalb nicht immer leicht. Dennoch schaffte er es, die Folgen des rapiden Wirtschaftswachstums auf der einen Seite, und die des Festhaltens an Traditionen auf der anderen Seite, wirkungsvoll zu inszenieren. Entstanden sind kontrastreiche Fotografien: Familien mit einem Übermaß an teuren Besitztümern und andere Menschen mit ihren spartanisch gehaltenen Alltagsgegenständen. Der enormen Schnelllebigkeit seines Landes trotzend, will er mit dem Projekt aktuelle Probleme widerspiegeln und einen Denkanstoß zur Reflektion über den eigenen Besitz liefern.  

Wenn euch das Projekt interessiert, könnt ihr auf seiner Website viele andere, spannende Fotoserien entdecken. 

Mit Vorurteilen aufräumen – Porträt einer Generation

Auch die Fotoserie „All I Own“ der schwedischen Künstlerin Sannah Kvist setzt sich mit unseren Vorstellungen von Konsum und Besitz auseinander. Sie soll die vorurteilsbelastete Generation der jungen Schwedin, die in den 1980er Jahren geboren ist, in einem neuen Licht darstellen. Als erste Generation, die weniger wohlhabend als ihre Eltern ist, wird sie oft als egomanisch und konsumorientiert bezeichnet. Die Aufnahmen zeigen die jungen Menschen aber von einer ganz anderen, sehr intimen und verletzlichen Seite. In zwei- bis fünfstündiger Arbeit haben sie ihren gesamten Besitz zu einem Haufen gestapelt. Die Gegenstände, die dabei sichtbar im Vordergrund stehen, sind ihnen besonders wichtig. Aufgrund ihrer oft schwierigen finanziellen Situation, wohnen sie alle ohne Vertrag zur Untermiete. Sie haben also keinen langfristigen Wohnsitz. Auf die vielen Umzüge nehmen sie daher immer nur das Wichtigste mit. Ihre Besitztümer erlangen damit eine viel tiefergehende Bedeutung: Sie dienen als Mittel zur Selbstidentifikation und definieren einen Teil ihrer Persönlichkeit. Das fotografische Porträt dieser Generation stellt ihren schlechten Ruf in Frage. Im Zuge dessen liegt es in den Augen des Betrachters, ob er seine Vorurteile darin bestätigt sieht – oder eben nicht.

Hier könnt ihr euch die Fotostrecke auf der flickr-Seite von Sannah ansehen.

Ein Bild – eine Geschichte – ein Leben

© Mami Kiyoshi

Ebenfalls zum Nachdenken anregen will die japanische Fotografin Mami Kiyoshi mit ihrem Langzeitprojekt „New Reading Portraits“. Anstatt ellenlanger Biografien, lässt sie ihre Bilder für sich sprechen. Wie der Werktitel bereits andeutet, lassen sich die einzelnen Fotografien als Lebensgeschichte der Porträtierten lesen: Alle darauf abgebildeten Gegenstände repräsentieren die wichtigsten Aspekte im Leben der Familien, Paare und Alleinstehenden, ganz gleich ob jung oder alt. Damit das möglichst authentisch gelingt, nahm sich Kiyoshi vor dem Shooting immer einen Tag Zeit, um die Personen und ihre Geschichte persönlich kennenzulernen. So entstanden in knapp 15 Jahren über 100 Fotos von Menschen auf der ganzen Welt, die die Vielfalt und die Diversität von Lebensweisen verschiedener Kulturen und Generationen zeigen.

Wer sich noch mit ihren anderen Portraits „belesen“ will, wird hier fündig.

So unterschiedlich und doch so gleich – gemeinsames Ziel der Fotoprojekte

Alle drei Künstler verfolgen auf ihre Art und Weise die Intention, ein neues Bewusstsein für Besitzgüter zu schaffen und den Betrachter zur eigenen Reflektion anzuregen. Dabei zeigen sich unterschiedliche Formen des Umgangs mit Dingen, je nach Gesellschaft und Kultur. Vor allem im Hinblick auf Wertschätzung sowie Stellenwert von Materiellem und auf den jeweiligen Lebensstandard zeigt sich die Vielfalt der Betrachtungsweisen.

Daraus können wir unsere eigenen Schlüsse ziehen und uns selbst fragen: Welche Gegenstände brauchen und nutzen wir im Alltag wirklich? Welche haben durch eine persönliche Verbindung einen ideellen Wert für uns? Denn das sind die Dinge, auf die es wirklich ankommt, egal in welchem Land, welcher Kultur oder welcher Generation. Wenngleich auch die Inszenierung jedes Teilnehmers anders ist, im Grunde zeigen die Bilder alle das Gleiche: Menschen, die uns aufrichtig einen intimen Blick in ihr Leben geben – vor verschlossenen Türen und hinter fremden Wänden.

Lara Jarolin

Porträtfoto Lara Jarolin

Lara Jarolin studiert seit 2018 Germanistik und Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihr Traum ist es, ihre Leidenschaft für die deutsche Sprache später als Journalistin ausleben zu können. Immer auf der Suche nach neuen, bewegenden Themen, liest sie in ihrer Freizeit viel und kann sich dabei vor Allem für die Geschichten anderer Menschen und fremder Kulturen begeistern.